26.04.2024 | Interview mit Dr. Bettina Hübschen von der Saarländischen Wasserstoffagentur GmbH
„Industriefirmen werden sich damit auseinandersetzen, ob und in welcher Form Wasserstoff in ihren Prozessen eine Rolle spielen kann.“
Dr. Bettina Hübschen
Saarländische Wasserstoffagentur GmbH
Klimaneutral bis 2045, 55 % weniger Treibhausgase bis 2030 – so lauten die Ziele, mit deren Hilfe das Saarland die Vorgaben der EU im Rahmen des Klimagesetzes erfüllen will. Der Verzicht auf fossile Brennstoffe und die Weiterentwicklung neuer, klimafreundlicher Energieträger sind dabei entscheidend. Auch das 2022 von der Energie SaarLorLux AG an der Saarbrücker Römerbrücke eröffnete Gasmotorenkraftwerk (GAMOR) ist ein bedeutender Baustein der saarländischen Klimawende. Denn auf dem Weg des Saarlandes hin zu einer „grünen“ Energieproduktion dient es als wichtige Übergangstechnologie. Bereits heute ist GAMOR für den partiellen Einsatz von Wasserstoff als Energieträger vorbereitet, langfristig ist eine komplette Umrüstung auf Wasserstoff möglich.
Diese Umrüstung ist ein Teil des Dekarbonisierungspfades von Energie SaarLorLux. Welche Rolle der Hoffnungsträger Nummer 1, Wasserstoff (kurz H2), zukünftig für die Wirtschaft sowie für die Unternehmen im Saarland spielen wird, haben wir Dr. Bettina Hübschen, Geschäftsführerin der Saarländischen Wasserstoffagentur GmbH, gefragt. Sie weiß, welche Potenziale von Wasserstoff ausgehen, welche Herausforderungen mit der Versorgung einhergehen und wie eine Zukunft mit dem CO2-neutralen Energieträger aussehen könnte.
Frau Dr. Hübschen, können Sie uns zu Beginn unseres Gesprächs einen kleinen Einblick geben, inwiefern Wasserstoff zur Nachhaltigkeit der saarländischen Wirtschaft beitragen kann?
Dr. Bettina Hübschen: Auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft müssen anstelle fossiler Brennstoffe wie Koks, Erdgas, Öl oder Kraftstoff alternative Energieträger und -quellen genutzt werden. Wasserstoff spielt dabei eine entscheidende Rolle, da beim Einsatz von H2 kein Kohlenstoffdioxid entsteht, es wird lediglich Wasserdampf freigesetzt. Beispielsweise die saarländische Stahlindustrie ist da mit konkreten Planungen und Umsetzungen bereits auf einem guten Weg. Industrielle Prozesse können so klimafreundlicher werden – für das Saarland die Chance, seinen hohen Grad der Industrialisierung zu bewahren und sich nachhaltig – und damit auch zukunftssicher – aufzustellen.
Wurden im Saarland schon konkrete Projekte und Initiativen zum Thema Wasserstoff umgesetzt? Und welche Auswirkungen haben diese auf die Wirtschaft vor Ort?
Dr. Bettina Hübschen: Ja, es laufen gerade einige Projekte entlang der Wertschöpfungskette, bspw. bei der Firma Bosch in Homburg. Hier existiert bereits der werksinterne Wasserstoffkreis. Es wird grüner Wasserstoff erzeugt und für verschiedene Anwendungen zur Verfügung gestellt. An einer Wasserstofftankstelle können die verschiedensten Fahrzeuge des Werkes betankt werden. Andere
Projekte hingegen stehen noch am Anfang, wobei auch hier seit Ende 2023 einige Fortschritte gemacht wurden. So hat die SHS – Stahl-Holding-Saar, zu der auch Dillinger und Saarstahl gehören,
vor kurzem den Förderbescheid für ihr Transformationsprojekt erhalten und kann nun zur nächsten Phase übergehen. Auch das MosaHYC-Projekt und der Hydro Hub Fenne der Firma Iqony wurden
jüngst im IPCEI-Verfahren notifi ziert – für beide Projekte ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Umsetzung dieser Projekte stellt zudem die Weichen für andere. Wenn erst mal das Henne-Ei-Problem gelöst ist und sowohl erste Erzeugungs- wie auch Anwendungsprojekte umgesetzt werden, kommt auch der Aufbau der Transport-Infrastruktur ins Rollen.
Wie bewerten Sie das Potenzial von Wasserstoff als Energiequelle für Industrie-, Wirtschafts- und Gewerbeunternehmen im Saarland?
Dr. Bettina Hübschen: In einigen Prozessen, wie bspw. in der Stahlherstellung, ist Wasserstoff die einzige Alternative zur konventionellen Produktion mit Kohle und Koks. Darüber hinaus hat Wasserstoff auch großes Potential in Verbrennungsprozessen, bei der Wärme, in verschiedenen Mobilitätsbereichen sowie als Energiespeicher.
„Energie SaarLorLux ist im Hinblick auf die Zukunft vorbildlich unterwegs und besetzt hier mit den beiden Kraftwerken an der Römerbrücke definitiv eine Vorreiterposition.
Dr. Bettina Hübschen, Saarländische Wasserstoffagentur
Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen bei der Integration von Wasserstofftechnologien in die bestehenden Prozesse – und wie kann die Saarländische Wasserstoffagentur sie dabei unterstützen?
Dr. Bettina Hübschen: Eine der grundlegenden Herausforderungen besteht darin, dass der Wasserstoff zunächst erstmal zu den Unternehmen gelangen muss, bevor er überhaupt zur Anwendung kommt. Die Saarländische Wasserstoffagentur arbeitet mit Unternehmen individuelle Lösungen aus, wie sie Wasserstoff selbst erzeugen oder auf unterschiedlichsten Wegen transportieren können. Ist die Wasserstoffversorgung gewährleistet, können dennoch immer wieder neue Herausforderungen entstehen, da der Einsatz des Wasserstoffs in vielen Bereichen noch gar nicht erprobt ist. Die Komplexität des Wasserstoffeinsatzes ist von verschiedenen Faktoren abhängig – je nach Unternehmen, Verwendungsform und Produkt können sie stark variieren. Das Gute daran: Alle diese Probleme sind lösbar. Um die Unternehmen hier bestmöglich zu unterstützen, vermitteln wir ihnen Kontakte zu anderen Unternehmen oder Forschungseinrichtungen, damit der nächste nicht wieder dieselben Fragen beantworten muss. Wir können auch selbst Studien durchführen oder koordinieren und Unternehmen konkret beraten.
Welche Schritte sollte ein Unternehmen heute schon umsetzen, um der Umstellung auf Wasserstoff den Weg zu ebnen? Was sollten Unternehmen jetzt schon tun oder beachten?
Dr. Bettina Hübschen: Ich würde Unternehmen dazu raten, frühzeitig in den Dialog mit der Saarländischen Wasserstoffagentur zu treten. Die Alternative zu Wasserstoff ist in vielen Fällen die direkte Elektrifizierung, wofür oft höhere Investitionskosten benötigt werden als für das „Umrüsten“ auf Wasserstoff. Im Gegensatz dazu sind die Betriebskosten mit Wasserstoff zunächst höher. Aber für uns als Wasserstoffagentur ist es daher besonders wichtig zu wissen, wo überall „Wasserstoffsenken“ – also Wasserstoffverbräuche – entstehen können. So können wir bspw. gezielt nach Versorgungsoptionen suchen oder Bedarfe bündeln, um die Attraktivität von Wasserstoff gegenüber der Elektrifizierung zu erhöhen.
Welche wirtschaftlichen Vorteile können Unternehmen durch den Einsatz von Wasserstoff erwarten, und wie verhält sich das im Vergleich zu vorhandenen, herkömmlichen Energiequellen?
Dr. Bettina Hübschen: Zunächst wird Wasserstoff teurer sein als der Einsatz von fossilen Energiequellen, was eine Förderung zum Anschub der Wasserstoffwirtschaft besonders wichtig macht. Aber es wird davon ausgegangen, dass die Erzeugungskosten und damit auch die Preise für Wasserstoff mit der Zeit fallen, wenn im großtechnischen Maßstab Wasserstoff produziert wird und die Verfügbarkeit
stark ansteigt. Gleichzeitig wird durch die CO2-Bepreisung der Einsatz von fossilen Energiequellen immer unattraktiver, sodass sich Wasserstoff dann selbst trägt. Zusätzlich wird der CO2-
Fußabdruck der mit Wasserstoff hergestellten Produkte verbessert. Davon können zwar nicht alle Unternehmen direkt profitieren, aber immer mehr achten auch auf die Emissionen, die über die sog.
Vorkette in ihr eigenes Produkt eingebracht werden, bspw. über die Produkte, die sie zur Weiterverarbeitung einkaufen. Wer hier ein „grünes“ Produkt anbieten kann, hat langfristig einen Vorteil.
Welche Berührungspunkte werden Ihrer Meinung nach Industriefirmen, Unternehmen und Gewerbebetrieb mit Wasserstoff in den kommenden Jahren haben?
Dr. Bettina Hübschen: Industriefirmen werden sich damit auseinandersetzen, ob und in welcher Form Wasserstoff in ihren Prozessen eine Rolle spielen kann. Das kann der direkte Einsatz von Wasserstoff sein oder eine Umstellung auf die Produktion von Komponenten und Bauteilen, die dann in der Wertschöpfungskette des Wasserstoffs Anwendung finden. Aber auch kleinere Unternehmen und Handwerksbetriebe werden immer öfter auf Aufträge treffen, für die sie Fachwissen im Umgang mit Wasserstoff brauchen und müssen daher ihre Mitarbeitenden entsprechend weiterbilden und qualifizieren.
Wie schätzen Sie die Rolle der Politik und staatlicher Förderprogramme für die Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft im Saarland ein?
Dr. Bettina Hübschen: Die Förderprogramme sind für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft von entscheidender Bedeutung. Wir stellen gerade die Weichen für die nächsten Jahrzehnte und richten unsere Wirtschaft neu und klimaneutral aus. Die dafür notwendigen Investitionen bedingen eine entsprechende Infrastruktur, deren Umfang natürlich mehr umfasst als das, was Unternehmen aus eigener Tasche stemmen und jährlich für den Erhalt und die Weiterentwicklung ihrer Prozesse und Produkte tun können. Diese wirtschaftliche Transformation geschieht für ein übergeordnetes, gesamtgesellschaftliches Ziel: den Klimaschutz und die Sicherung unserer Zukunft, auch für folgende Generationen. Daher ist es nur konsequent, wenn der Staat hier mit Fördermitteln unterstützt.
Welche Vision hat die Saarländische Wasserstoffagentur für die Zukunft der Wasserstoffnutzung in der saarländischen Wirtschaft?
Dr. Bettina Hübschen: Wir möchten, dass das Saarland Wasserstoffland wird! Für die Zukunft stellen wir uns folgendes Szenario vor: Wasserstoff ist im Saarland ausreichend und zu wirtschaftlichen Bedingungen verfügbar. Er wird überall dort eingesetzt, wo CO2 eingespart und das Klima geschützt werden kann. Gleichzeitig hat sich eine Zulieferindustrie gebildet und angesiedelt, die die Technologien und Komponenten für den weiteren Aufbau der Wasserstoffwirtschaft liefert und von deren Kompetenz der hier ansässigen Forschungs- und Lehreinrichtungen profitieren. Es sind dadurch neue und zukunftssichere Arbeitsplätze entstanden.